Samstag, 26. Juli 2014

Die Umarmung...

Der Tango Agentino beginnt und endet in einer Umarmung...
Nach einer Woche Aufenthalt bei Sebastian Arce in Moskau, nach vielen Privatstunden und Gesprächen glaube ich verstanden zu haben, was den Tango in der Kultur Argentiniens, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft so besonders macht. Wir bekamen tiefe Einblicke in die Gefühle, in die Konflikte und auch in die Hoffnungen von alten und jungen Milongeros. Verstehen heißt noch lange nicht, alles spüren und erfahren zu haben. Aber es ist ein weiterer Schritt, nicht nur seinen eigenen Tanzhorizont sondern auch das Leben und sich selbst besser zu erahnen.

Dennoch gibt es einen Punkt, mit dem ich persönlich kämpfe. Ein Gedanke...vielleicht so gar ein Paradoxon...das mir in dieser Woche die ganze Zeit durch den Kopf gegeistert ist.

Wie soll ich es schaffen, dass mir eine innige Umarmung mit jedem Mann angenehm ist.

In den letzten Jahren durften wir viele Menschen erleben, TänzerInnen beobachten, Lehrer kennenlernen, Rhythmen und Bewegungen ausprobieren, internationale Tanzkulturen erfahren und viele Entwicklungen von "SchülerInnen" begleiten.

Vieles war sehr schön, vieles interessant und einiges erschreckend. Wir persönlich sehen den Tanz - vor allem den Paartanz - als Kunst, die sich mit der Zeit, mit den Wünschen, Sehnsüchten und Kämpfen von Menschen entwickelt. Es ist für uns eine Form, sich zu begegnen und Toleranz auszuüben. Tanz verbinden wir mit Respekt und Wertschätzung dem anderen und sich selbst gegenüber.

Doch viele, die sich mehr mit einer speziellen Tanzform beschäftigen, beginnen in ein "richtig" und "falsch" Schema zu verfallen. Sie beginnen andere Tänze und TänzerInnen zu bewerten und zu beurteilen. Die Richtlinien und Codes auf der Tanzfläche gelten für sie nicht mehr für ein harmonisches Miteinander sondern als Zwang, den es gilt zu befolgen.

Eine Umarmung bedingt für mich einen Energieschluss...ein Öffnen, Zulassen, ein Geben und Aufnehmen...

Doch wie soll ich jemanden umarmen, der gedanklich oder verbal über den Nachbartänzer schimpft, nur weil er nicht die Tanzrichtung befolgt. Wie soll ich jemanden umarmen, der darüber nachdenkt, was nun richtig und falsch ist. Wie soll ich jemanden umarmen, dem es wichtiger ist, wie er beim Tanzen aussieht, als die Umarmung zu spüren.
Wie soll ich jemanden umarmen, der die Toleranz nicht lebt?

Oder sind es gerade diese Umarmungen, die alles verändern...die die Gedanken zum Schweigen bringen, das Herz öffnen und die Welt bewegen?

Für mich persönlich beginnt der Tango nicht in der Vergangenheit, auch nicht in der Kultur. Für mich beginnt der Tango im Jetzt, in der Toleranz von heute, in der Liebe zum Moment, in der Freude im Umgang miteinander.
Erst dann führt mich die Umarmung weiter in die Vergangenheit und auch in die Zukunft.

Kultur von einer anderen Gesellschaft zu übernehmen bedingt für mich, sich selbst zu hinterfragen. Zu leicht fällt man in die Gefahr, selektiv zu werden.

Deswegen führt für mich/uns der Weg zum Tango zuerst zu einem selbst und zur Liebe zum Menschen, weiter zu der Akzeptanz von anderen Meinungen, zur Toleranz von "Fehlern", zum Wunsch des Miteinanders.
Und erst dann führt der Weg zur Umarmung, die dich umschließt und ganz von selbst geleitet von der Musik durch den Tanzsaal begleitet....



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